"digitale Spuren" im strafprozessualen Sinne
RA und Analyst Dr. Uwe Ewald

Definition „digitaler Spuren“ im strafprozessualen Sinne

Zur Definition „digitaler Spuren“ im strafprozessualen Sinne wird häufig auf § 202a Abs. 2 StGB verwiesen:

§ 202a Ausspähen von Daten
(1) Wer unbefugt sich oder einem anderen Zugang zu Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Daten im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden.

Diese Definition des Absatzes 2 ist nicht unkritisch, da „elektronische“ Speicherung üblicherweise als „magnetische“ und „optische“ unterschieden wird, d.h. „magnetisch“ ist ein Unterfall von „elektronisch“ und keine Alternative, wie in der Formulierung von Abs. 2 nahegelegt.

Digitale Spuren liegen in einer großen Bandbreite vor von sogenannten maschinennahen Daten im BIOS oder in Betriebssystemen über Inhaltsdaten wie Texten, Bildern, Videos bis hin zu Metadaten und komplexen Datenbanken. Potenziell kann jede dieser Datenkategorien als digitale Spur ein Beweismittel sein und in Strafverfahren eine Rolle spielen. Entsprechend differenziert sind die jeweils verwendeten Hard- und Software-Tools.

Keine unmittelbare Wahrnehmung digitaler Spuren

Die Begriffsbestimmung von § 202a Abs. 2 StGB stellt jedoch auf das für das weitere grundlegende Verständnis digitaler Beweismittel in der Perspektive der deutschen Strafprozessordnung wesentliche Kriterium ab, nämlich die aus der Art des elektronischen Speichermediums folgende fehlende Unmittelbarkeit der Wahrnehmung von digitalen Spuren ab, die als digitale Beweismittel in Strafverfahren eingebracht und verarbeitet werden. Es kommt also nicht auf den Inhalt der digitalen Spuren an (ob Text, Foto etc.), sondern allein darauf, ob Daten a) auf einem elektronischen Speichermedium b) digital abgelegt oder über ein solches transportiert werden.

„Digitale Daten“ liegen dann vor, wenn Signale in (nur) zwei Zuständen 0 vs. 1, „wahr“ vs. „falsch“ repräsentiert werden; diese Informationsspeichertechnologie erfordert dann spezielle Hard- und Software (IKT), um die Dateninhalte sinnlich wahrnehmbar und damit verstehbar zu machen.

Abhängigkeit der Wahrnehmung digitaler Spuren von Hard- und Software

Die prozessförmige Verarbeitung digitaler Beweise erfordert also in jedem Fall den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und das zu ihrer Anwendung notwendige Wissen und die entsprechenden anwendungsbereiten Fähigkeiten. Im Vergleich zu analogen Daten und Informationen, die als Beweise in die Hauptverhandlung eingeführt werden und als solche (z.B. Dokumente) unmittelbar-sinnlich von Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern wahrgenommen und verstanden werden können, tritt damit zwischen Daten einerseits und Wahrnehmung andererseits die Ebene der computergestützten Verarbeitung digitaler Informationen. Dieser mit der Digitalisierung unvermeidliche „Zwischenschritt“ stellt hinsichtlich des Nachweises der Authentizität (Echtheit) und Integrität (Unveränderlichkeit) digitaler Spuren besondere Anforderungen.

Wer ist zuständig für die Verarbeitung digitaler Spuren im Strafverfahren?

Bislang herrscht (noch) die verbreitete Ansicht vor, dass zunächst die Auswertung digitaler Spuren grundsätzlich Sache von Cyber-Cops, digitalen Forensikern der Ermittlungsbehörden oder aber von externen forensischen Sachverständigen sei, die grundsätzlich erst dann z.B. mittels Auswertungsberichten einer direkten Betrachtung der am Verfahren beteiligten Juristen zugänglich wären. Wenngleich dieser pauschale Verweis digitaler Spuren in die Zuständigkeit von Experten und Sachverständigen die allgemein vorherrschende Abneigung von Juristen widerspiegelt, sich selbst aktiver an der Auswertung digitaler Daten als Beweismittel zu beteiligen, dürfte er bei näherer Betrachtung weder zutreffend noch sachdienlich sein. Nicht zutreffend, weil ein großer Bereich von digitalen Spuren (z.B. von Smartphones) digitale Textdaten sind, die mit einfachen Computerkenntnissen der eigenen sinnlichen Wahrnehmung der Juristen durch diese selbst zugänglich gemacht werden können und keiner vorangegangenen Sichtung und Auswahl von Experten bedürfen; nicht sachdienlich, weil eine der eigenständigen juristischen Betrachtung und Auswertung digitaler Spuren als Beweismittel vorangehende Bearbeitung durch digitale Experten in der Regel auch bewertende Elemente bezüglich der Relevanz digitaler Spuren für den vorliegenden Fall enthält und damit potenziell in die juristische Entscheidungsgrundlage eingreift.

Natürlich gibt es Bereiche digitaler Spuren (Log-Dateien, RAM-Daten, Metadaten …), zu deren Auswertung eine besondere Expertise und ein spezielles technisches Wissen erforderlich ist, welches Juristen nicht besitzen (können). Cyber-Strafverteidiger werden jedoch immer versuchen, eine eigene, autonome Auswertung und Analyse digitaler Spuren überall dort vorzunehmen, wo digitale Daten mit einfachen Mitteln sinnlich wahrnehmbar (in der Regel textliche Daten lesbar) gemacht werden können oder mit einem vertretbaren Aufwand beim Erlernen digital-forensischer Kenntnisse und computer-gestützter Analysemöglichkeiten für die eigene Betrachtung zugänglich gemacht werden können.