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Dr. Uwe Ewald

Digitale Spuren

Digitale Spuren im Strafverfahren: Begriffe wie Cyber-, Computer-, Internetkriminalität und eCrime beschreiben – nicht immer in klarer Abgrenzung – strafbare Handlungen mit digitalen Spuren, welche im Zuge einer alle Lebensbereiche erfassenden Digitalisierung

(1) den digitalen Raum zum Ziel ihrer Angriffe haben,

(2) ihn als ein Tatmittel benutzen, oder aber

(3) in sonstiger Weise digitale Spuren mit Bezug zum Tatgeschehen aufweisen.

Dabei können der Einzelne, die Wirtschaft oder Behörden gleichermaßen zum Ziel der Angriffe werden, wobei als Feld der organisierten Kriminalität die wirtschaftskriminellen Handlungen mittels IKT wegen der zu erwartenden Gewinne den Schwerpunkt bilden.

Die im Zusammenhang mit dem Thema „Smartphone-Daten“ bereits dargestellte Tatsache, dass Smartphones gewissermaßen eine digitale Echtzeitvermessung persönlicher Daten vornehmen, führt dazu, dass immer dann, wenn zum Nachweis einer Straftat (und das kann potenziell auf jede Straftat zutreffen) entsprechende Daten (z.B. zur Überprüfung von Einlassungen oder von Bewegungsprofilen) sinnvoll erscheinen, eine entsprechende Auswertung digitaler Spuren möglich ist.

Überprüfen der Zuverlässigkeit digitaler Spuren

Entgegen einer immer noch auch unter Strafjuristen anzutreffenden Annahme, digitale Daten wären durch ein hohes Maß an Objektivität und Nachvollziehbarkeit geprägt (‚man müsse sich nur technisch auskennen‘), fällt der Nachweis digitaler Spuren in ihrem Zusammenhang zu einem Tatvorwurf und insbesondere die eindeutige Klärung der Identität des Verursachers dieser Spuren oftmals immer noch sehr schwer. Mithin wird eine Vielzahl von cyberkriminellen Handlungen gar nicht entdeckt. Umgekehrt ist nicht ausgeschlossen, dass digitale Informationen im Zusammenhang mit Straftaten fälschlicherweise einem Beschuldigten zugeordnet werden, oder es werden Verbindungen zwischen Tatverdächtigen und digitalen Spuren übersehen.

Aus diesen (auch technischen) Unsicherheiten des Nachweises digitaler Spuren ergibt sich ein weites Aufgabenfeld für die Strafverteidigung bei der Überprüfung von der Staatsanwaltschaft vorgelegten digitalen Beweisen zur Verteidigung der Interessen ihrer Mandanten.

Ist die Auswertung digitaler Spuren allein Sache von digitalen Forensikern der Polizei und von Sachverständigen?

Sowohl in der juristischen Praxis als auch in der Strafrechts- und forensischen Wissenschaft ist die Meinung verbreitet, die Erfassung und Auswertung digitaler Spuren sei allein Sache von digitalen Experten und Sachverständigen. Gelegentlich wird dazu das Bild von der Tatortuntersuchung bemüht, die ja auch durch die kriminalistischen Experten durchgeführt und im Ergebnis der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht berichtet wird. Ganz in diesem Sinne sei auch die Untersuchung von „digitalen Spuren“ Tatort-Arbeit (siehe „Forensik in der digitalen Welt: Moderne Methoden der forensischen Fallarbeit in der digitalen und digitalisierten realen Welt“, 2017).

Diese Position würde den Informationsverarbeitungsprozess im Rahmen der Beweisaufnahme auf Seiten der Juristen des Gerichtes, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung weitgehend in der alten, traditionellen analogen Form belassen. Was wie ein Vorteil für die Arbeitsweise der Juristen aussieht, stellt sich als Risiko und Gefahr für ein rechtsstaatliches Strafverfahren dar, da eine zunehmende Abhängigkeit in der juristischen Entscheidungsfindung von den Experten der digitalen Forensik und Analyse eintreten würde, deren Überprüfung wegen des Nicht-Verstehens der digitalen Vorgänge substanziell nicht möglich wäre.

Wesentliche Teile der Auswertung digitaler Spuren gehören in die Hände der Juristen

Natürlich liegt auf der Hand, dass es Bereiche der IKT im Zusammenhang mit der Gewinnung digitaler Spuren gibt, die ein hohes Maß an Spezialkenntnissen und Expertise erfordern, wie z.B. Hardware-Untersuchungen, Extrahieren großer Datenmengen, Entschlüsselung oder spezielle Spuren in Logfiles oder dem RAM.

Bei genauerem Hinsehen wird sich jedoch herausstellen, dass es weder inhaltliche noch technische Gründe gibt, die Auswertung großer Teile digitaler Spuren allein digitalen Experten zu überlassen. Und diese Bereiche digitaler Spuren beziehen sich auf all die Informationen, die mit den durchschnittlichen Fähigkeiten im Umgang mit Computern (zu Fragen wäre allerdings auch nach einer Basis-Ausbildung der Juristen im Bereich digitale Forensik und Analyse) sinnlich zugänglich gemacht werden können, wie Texte, Audio, Bild, Video. Im Grunde handelt es sich um Daten, die mit analogen Dokumenten und Bildern vergleichbar sind mit dem einzigen für die Wahrnehmung wesentlichen Unterschied, dass sie auf analogen Datenträgern eigenhändig durch die Juristen wahrgenommen werden konnten.

Der Schritt, solche einfachen aber massenhaft vorliegenden Text- und Bilddaten mittels Computer und Software lesbar zu machen, ist relativ klein und sicherlich ohne große Umstände erlernbar. Diesen Schritt zu gehen, muss von Juristen erwartet werden. Die Folge wäre, dass wesentliche Informationen wie Chats und Messages oder Fotos den Juristen in ihrer unmittelbaren Entscheidungsfindung (wieder) unmittelbar vorlägen und nicht durch Selektions- und Interpretationsentscheidungen von Experten vorbestimmt wären.

Ein Sonderproblem kann auftreten, wenn auch die auf diese Weise einfach-digital zugänglich zu machenden digitalen Informationen als Big Data auftreten und händisch nicht mehr sinnvoll auszuwerten sind. Hier wären dann fachliche Kompetenzen im Bereich der digitalen Massendatenanalyse erforderlich, die sicher nicht mehr zu den einfachen digitalen Durchschnittsfähigkeiten zu rechnen wären und zu deren Durchführung Spezialkenntnisse der digitalen Inhaltsanalyse und mithin die Unterstützung von Experten und Sachverständigen erforderlich wären.

Besondere Rolle der Cyber-Strafverteidigung

Der Strafverteidigung kommt beim Umgang mit digitalen Spuren eine für das rechtsstaatliche Strafverfahren unverzichtbare Funktion zu: Sie bildet aus ihrer strukturellen Rolle als Wächter über das ordnungsgemäße Zustandekommen der Beweise und ihre Aufgabe, die vorgelegte digitalen Beweise daraufhin zu testen, die einzige Gewähr im Strafverfahren, mögliche Schwächen oder Fehler der durch die Anklage eingebrachten Beweise aufzudecken.

Darüber hinaus kommt für digitale Spuren als Beweise ein besonderer Umstand hinzu, der die kompetente Cyber-Strafverteidigung erforderlich macht. Anders als bei der analogen Informationsverarbeitung im Beweisverfahren, wo sich eine jahrhundertelange Praxis und Gesetzgebung herausgebildet hat und die Methoden der Auswertung und Verarbeitung der hauptsächlichen Beweismittel „Zeugenaussage“ und „Dokument“ im wesentlichen unverändert bleiben, folgt aus dem permanenten rasanten Fortschritt in der Informations- und Kommunikationstechnologie, dass die Gesetzgebung mit ihren komplexen und langwierigen Verfahren nicht in der Lage ist und auch zukünftig kaum in der Lage sein wird, die rechtlichen Standards bei der Verarbeitung digitaler Spuren im Strafverfahren zeitnah mit den technologischen Veränderungen in Einklang zu bringen. Die praktische Antwort auf diese ‚Lücke‘ zwischen Technologie-Entwicklung und Gesetzgebungsverfahren könnte in einer Spruchpraxis der Obergerichte bestehen, die aktuell und unmittelbar auf Anpassungserfordernisse reagieren.

Das ureigene Interesse an einer solchen Unmittelbarkeit liegt auf der Seite der Strafverteidigung, die im Interesse der Beschuldigten Risiken und Unsicherheiten neuer Technologien bei der Auswertung digitaler Spuren im Moment ihres Auftretens zugunsten ihrer Mandanten aufdecken und der höchstrichterlichen Entscheidung vorlegen muss.