EncroChat
Rechtsanwalt Dr.Uwe Ewald

EncroChat – sind die Daten beweissicher erhoben?

Die von französischen Ermittlungsbehörden dem BKA zur Verfügung gestellten EncroChat-Daten hält der BGH zur Verfolgung schwerer Straftaten für verwertbar. In einem Beschluß vom 2.März 2022 hat der V.Senat die Meinung vertreten, dass der Verwertung im Strafprozeß kein Verwertungsverbot entgegen steht.

Ob neben der bislang so dominant debattierten Frage der Zulässigkeit der EncroChat-Daten als Beweismittel nun auch in Deutschland die Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Daten in Verbindung mit der fehlenden Möglichkeit ihrer Überprüfung zurück bis zu den Originaldaten die ihr gebührende Beachtung finden wird, bleibt abzuwarten.

In Frankreich und Großbritannien sind die juristischen Debatten dazu bereits eröffnet.

Fehlende Überprüfbarkeit der Datenverarbeitung vs. Recht auf ein faires Verfahren

Der Verfassungsgerichtshof Frankreichs (Conseil-Constitutionnel) hat am 8. April 2022 in einer Entscheidung einerseits bestätigt, dass zwar die Geheimhaltung der technischen Vorgänge um die Erlangung der EncoChat-Daten in Frankreich als ein nationales militärisches Geheimnis verfassungsgemäß ist und die Verfahrensrechte Beschuldigter in Strafverfahren vor französischen Gerichten, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, nicht beeinträchtigt seien, andererseits aber auf rechtliche Erfordernisse erforderlicher strafprozessualer Transparenz hinsichtlich der staatlichen Hacking-Operation verwiesen. Es bleibt nun abzuwarten, wie das französische Oberste Gericht diese Entscheidung in dem konkreten zugrundeliegenden Fall umsetzen wird.

Ausgangspunkt dieser Entscheidung ist die in einem Berufungsverfahren von dem Anwaltsteam um den Strafverteidiger Robin Binsard vorgebrachte und dann in einer Vorlageentscheidung durch das Oberste Gericht an den Verfassungsgerichtshof weitergeleitete Position, dass wegen der Unmöglichkeit, die EncroChat-Daten bis zu den Ursprungsdaten wegen der Geheimhaltung der Hackeroperation zurückverfolgen zu können, der Grundsatz des fairen Verfahrens nach Artikel 6 EMRK verletzt sei. In der Sache geht es dabei um die für die Verteidigung nicht gegebene Nachvollziehbarkeit des Verarbeitungsprozesses der EncroChat-Daten. Dadurch bleiben für die Verteidigung eine Reihe von Fragen insbesondere zu den technischen Vorgängen der Datenerlangung und Verarbeitung offen und können nicht überprüft werden.

Die nun folgende Entscheidung des Obersten Gerichts wird zeigen, welche bislang der Verteidigung nicht zur Verfügung gestellten Informationen zu den EncroChat-Daten transparent zu machen sind.

Aussetzung digitalforensischer Standards vs. Recht auf ein faires Verfahren

In einem EncroChat-Verfahren am Londoner Central Criminal Court wurden Ergebnisse eines gemeinsamen Reports von Luke Shrimpton, einem erfahrenen IT-Forensiker der National Crime Agency (dem britischen Pendent zum Bundeskriminalamt) und Duncan Campbell, einem IT-Forensik-Experten, der als Sachverständiger der Verteidigung auftrat, vorgestellt und kontrovers debattiert. Die beiden Experten kamen vor dem Hintergrund einer IT-forensischen des in Frankreich verwendeten Staatstrojaners (Implant) zu dem Ergebnis, dass seine Zuverlässigkeit durchaus zweifelhaft sei.

Ihre Auffassungen unterschieden sich jedoch bei der Einschätzung der Zuverlässigkeit der dann in den Strafverfahren von der britischen Polizei verwendeten EncroChat-Daten. Während Shrimpton der Auffassung war, es sei von der Zuverlässigkeit der Daten trotz unterstellter Unzuverlässigkeit des Trojaners auszugehen, vertrat Campbell den Standpunkt, dass bei übereinstimmend angenommener Unzuverlässigkeit des Implants/Trojaners nicht ohne weiteres auf die Zuverlässigkeit der Daten geschlussfolgert werden könne, bei denen sich auch unerkannte Veränderungen ergeben haben könnten. Ohne Rückverfolgbarkeit der Daten im Verarbeitungsprozess kann schlichtweg nicht eindeutig gesagt werden, ob die verwendeten Daten zuverlässig sind oder nicht – es sei denn, weitere unabhängige Beweise bestätigen den Inhalt der Daten.

Mit der Art und Weise, wie bislang mit den EncroChat-Daten in Strafverfahren umgegangen wird, wird ein beispielloses Dilemma geschaffen, so Campbell, weil die ansonsten geltenden Regeln und Prinzipien zum forensischen Umgang mit digitalen Beweisen, die sich – jedenfalls in Großbritannien – seit 25 Jahren etabliert haben, seit die Association of Chief Police Officers, außer Kraft gesetzt werden.

Quo Vadis?

Auch in Strafverfahren in Deutschland wird die Frage der notwendigen Überprüfbarkeit der EncroChat-Daten, ihrer Authentizität und Integrität auch anhand der Analyse von EncroChat-Falldaten und der dort gefundenen Auffälligkeiten aufgeworfen.

Sowohl Strafjustiz wie auch Strafgesetzgebung steht hier in gewisser Weise vor einem Scheideweg, da es nicht nur darum geht, ob in einem konkreten Verfahren die ausgedruckten EncroChatlisten allein aufgrund ihrer „Plausibilität“ zur (alleinigen) Grundlage von Verurteilungen gemacht werden können.

Es geht um viel mehr, nämlich um ein Entweder Oder: Entweder die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensprinzipien, insbesondere die Gewährleistung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit der durch polizeiliche Ermittlungstätigkeit erzeugten Beweise, oder die Akzeptanz eines „Blackbox-Prinzips“ im strafrechtlichen Beweisverfahren, in dem Strafgerichte dazu übergehen, digitale Beweise als Verurteilungsgrundlage zu akzeptieren, ohne dass die Möglichkeit ihrer Überprüfung durch die beschwerte Seite besteht. EncroChat ist hier eher ein überschaubares Problem – die eigentlichen Herausforderungen erscheinen mit dem verstärkten Einzug Künstlicher Intelligenz in die Polizeiarbeit (StateWatch frz Vorstoß).

Es gibt aber hoffnungsvoll stimmende Ansätze, wie in der Auseinandersetzung des Europäischen Datenschutzbeauftragten mit Europol zur Einschränkung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz, oder in der Entschließung des Europäischen Parlaments zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Strafjustiz.

Aufgabe der Strafverteidung

Die Strafverteidigung muss sich verstärkt dieser Perspektive anschließen und in EnroChat-Verfahren wie auch in allen Verfahren, wo digitale Beweise (z.B. Verwertung von IP-Adressen in Verfahren zur Kinderpornografie) eine entscheidende Rolle spielen und die Überprüfung der Herkunft der Daten und ihrer Verarbeitungsschritte entscheidende Bedeutung für die Einschätzung des Beweiswertes besitzen, auf eine entsprechende Aufklärung drängen. Nicht selten wird sich dann zeigen, dass mit digitalen Beweisen auch erhebliche Risiken für Fehlurteile verbunden sein können. Zu den möglichen Angriffspunkten für die Verteidigung lesen Sie hier weiter.