Künstliche Intelligenz (KI) im Strafverfahren
Rechtsanwalt Dr. Ewald

Künstliche Intelligenz (KI) und Beweiswürdigung – die Geschichte von Apfelsinen und Bananen

Künstliche Intelligenz (KI) jetzt auch im Beweisverfahren – Was tun?  Auf einer internationalen Konferenz zur Digitalforensik erzählte ein IT-Forensiker die tatsächlich erlebte Geschichte eines Polizeiexperten, die in jeder Hinsicht auch aus der Erfahrung in deutschen Gerichten glaubwürdig und glaubhaft erscheint. Ein gestandener Cybercop hatte ihm und anderen Kollegen und Kolleginnen – immer noch halb staunend, halb entsetzt – Erlebnisse aus seiner Praxis als sachverständiger Zeuge berichtet und mit dem Credo eingeleitet, dass man heute Strafrichtern, wenn es um Sachfragen der IT-Forensik geht, buchstäblich das Blaue vom Himmel erzählen könne, und die Richter dennoch mit gespielt-verstehendem Gesichtsausdruck und verständigem Nicken vortäuschen, dem Vortrag folgen zu können.

Selbst eine Darstellung etwa derart, dass „der apfelsinenfarbige Bereich der Grafik zur Darstellung des kriminellen Netzwerkes in Verbindung mit der bananenförmigen Ausprägung der zeitlichen Verteilung beweist, dass die Feststellungen in der Anklage zu Punkt X zutreffend sind“, würde ohne weitere Nachfrage in dieser Weise buchstäblich abgenickt.

Anmerkung: Ich versichere, dass diese Darstellung – hier mit eigenen Worten wiedergegeben – tatsächlich so stattgefunden hat. Der Erzähler dieser Geschichte wie auch die anwesende Zuhörerschaft könnten namentlich benannt werden. Allerdings müsste ich mich im Falle hochnotpeinlicher Befragung auf die Position eines in Sachen „Ehrenwort“ bekannten Altkanzlers zurückziehen, da ich mein Wort gegeben habe, nur die Geschichte, nicht aber den Überbringer derselben publik zu machen.

KI-Gesetz (Entwurf) und Digitale Kompetenz im Gerichtssaal

Diese Anekdote wurde von IT-Forensik-Experten verschiedener Fachbereiche im Kontext einer Debatte zur Verwendung von KI und der sich aus dem Vorschlag für eine „Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (Gesetz über Künstliche Intelligenz) und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union (COM(2021) 206 final) ergebenden Anforderungen im Bereich digitaler Forensik mit weiteren ähnlichen Beispielen kommentiert. Dabei wurde die Befürchtung geäußert, dass sich mit dem verstärkten Einzug Künstlicher Intelligenz als Tool der digitalen Ermittlungstätigkeit die Verständigung zwischen IT-Forensikern und Strafjuristen noch weiter verschlechtern könnte.

Mit dem o.g. Entwurf des KI-Gesetzes (im Englischen gefälliger AIA = Artificial Intelligence Act) verfolgt die EU die wertebasierte Perspektive einer „menschenzentrierten Digitalisierung“, d. h. neben der Nutzung von Chancen sind auch die Risiken der Digitalisierung hinsichtlich der möglichen Verletzung von Grundrechten zu beherrschen. So verfolgt das KI-Gesetz (Entwurf) einen risiko-basierten Ansatz und führt Kriterien ein, deren Überprüfung und Einhaltung den Schutz der Grundrechte bei der Anwendung von KI in forensischen Analysen gewährleisten sollen.

Bereits in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6. Oktober 2021 zu „Künstliche Intelligenz im Strafrecht und ihrer Verwendung durch die Polizei und Justizbehörden in Strafsachen“ (2020/2016(INI)) wird auf die Risiken hingewiesen, die sich für die Rechtsstaatlichkeit der Strafverfolgung ergeben können und im Rahmen des Beweisverfahrens durch die Strafgerichte zu kontrollieren sind.

So wird dort festgestellt, dass der Einsatz von KI in der Strafverfolgung eine Reihe potenziell hoher und in einigen Fällen inakzeptabler Risiken für den Schutz der Grundrechte des Einzelnen birgt und die Gefahr undurchsichtige Entscheidungsfindung bestehe. Auch bestünde das Risiko fehlerhafter Algorithmen und daraus folgender Diskriminierung von Personengruppen, die durch Rückkopplungsschleifen verstärkt werden können. Auch gäbe es Risiken aus KI-Anwendungen für den Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten, den Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit, die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren.

Zum aktuellen Entwurf eines KI-Gesetzes lesen Sie hier einen Beitrag.