Faktischer Geschäftsführer

Rechtsanwalt Oliver Marson

Ein faktischer Geschäftsführer (auch „De-facto-Geschäftsführer“) ist eine Person, die ohne formelle Bestellung und Eintragung im Handelsregister tatsächlich die Geschäftstätigkeiten einer Gesellschaft ausübt und maßgeblich Einfluss auf ihre Entscheidungen nimmt. Er übt die Funktionen eines Geschäftsführers in der Praxis aus, hat damit dieselben Pflichten wie ein formal bestellter Geschäftsführer, darunter die Pflicht zur ordnungsgemäßen Unternehmensleitung und die Beantragung der Insolvenz bei Zahlungsunfähigkeit, und kann dafür zivilrechtlich und strafrechtlich haftbar gemacht werden.

Der faktische Geschäftsführer ist jemand, der die Geschicke eines Unternehmens maßgeblich lenkt, ohne offiziell zum Geschäftsführer bestellt worden zu sein. Maßgeblich ist dabei nicht der Titel, sondern das tatsächliche Verhalten. Wer regelmäßig Entscheidungen trifft, Mitarbeiter anweist, Verträge abschließt oder das Unternehmen gegenüber Dritten vertritt, kann als faktischer Geschäftsführer eingestuft werden.

Rechtliche Bedeutung und Haftung

Die Einstufung als faktischer Geschäftsführer hat erhebliche rechtliche Folgen. Nach § 43 GmbHG haftet ein Geschäftsführer für Pflichtverletzungen gegenüber der Gesellschaft. Diese Haftung kann auch auf faktische Geschäftsführer ausgeweitet werden, wenn sie in ähnlicher Weise agieren. Besonders relevant wird dies bei Insolvenzverschleppung, Steuervergehen oder Verstößen gegen arbeitsrechtliche Vorschriften.

Auch strafrechtlich kann ein faktischer Geschäftsführer belangt werden. So kann etwa bei Insolvenzdelikten oder Steuerhinterziehung die Argumentation „Ich war gar kein offizieller Geschäftsführer“ ins Leere laufen, wenn das tatsächliche Verhalten eine andere Sprache spricht.

Abgrenzung zum bloßen Einflussnehmer

Nicht jeder, der Einfluss auf ein Unternehmen ausübt, ist automatisch faktischer Geschäftsführer. Gesellschafter, Berater oder leitende Angestellte können ebenfalls weitreichende Kompetenzen haben, ohne in die Rolle des Geschäftsführers zu rutschen. Entscheidend ist die Gesamtbetrachtung: Wer dauerhaft und eigenverantwortlich die Unternehmensleitung übernimmt, wird rechtlich wie ein Geschäftsführer behandelt.

Der Bundesgerichthof hat hierzu Abgrenzungskriterien entwickelt:

– Die Person muss die Geschicke des Unternehmens faktisch bestimmen – unabhängig von einer formellen Bestellung.

– Nachhaltige und wesentliche Einflussnahme. Es reicht nicht aus, gelegentlich Entscheidungen zu treffen. Die Einflussnahme muss dauerhaft und substanziell sein.

– Der faktische Geschäftsführer trifft Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für das Unternehmen – etwa strategische, finanzielle oder personelle.

– Ein häufiges Merkmal ist das Auftreten gegenüber Dritten (z. B. Banken, Behörden, Kunden) als Repräsentant des Unternehmens. Allerdings ist dies laut BGH nicht zwingend erforderlich, insbesondere bei „Firmenbestattungen“.

– Einzelne Handlungen genügen nicht. Die Tätigkeit muss über einen längeren Zeitraum ausgeübt werden.

– Der BGH verlangt ein deutliches Übergewicht in der Unternehmensführung – etwa gegenüber Gesellschaftern oder anderen Führungskräften.

– Im Steuerrecht wird zusätzlich verlangt, dass die Person rechtlich über das Vermögen verfügen kann – rein faktische Einflussnahme genügt dort nicht.

Diese Kriterien eigenen sich nicht für eine schematische Prüfung, sondern es ist immer das Gesamtbild der tatsächlichen Tätigkeit zu betrachten.

Strafrechtliche Verantwortung

Die Konsequenz ist, dass der faktische Geschäftsführer genauso haftet, wie der gesetzliche Geschäftsführer. Ihn trifft die gleiche strafrechtliche Verantwortlichkeit z.B. im Hinblick auf Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 4 InsO) oder für Steuern und Sozialabgaben des Unternehmens.

Fazit

Der faktische Geschäftsführer ist ein juristisches Konstrukt, das die Realität der Unternehmensführung abbildet. Es schützt Gläubiger und Mitarbeiter vor einer Verantwortungsflucht und sorgt dafür, dass auch diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden können, die ohne offiziellen Titel die Kontrolle ausüben. Unternehmen und Führungskräfte sollten sich dieser rechtlichen Dimension bewusst sein – denn Verantwortung kennt keinen Titel.