Fachanwalt für Strafrecht
Rechtsanwalt Oliver Marson

Der hinreichende Tatverdacht bei Betrug und Untreue

Der hinreichende Tatverdacht ist manchmal ein unfassbares Ding im Strafrecht. Kürzlich kam mir eine Anklage unter, deren Inhalt so gar nicht mit dem der Ermittlungsakte übereinstimmen wollte.

Der hinreichende Tatverdacht und die Eröffnung des Hauptverfahrens

Für die juristischen Laien sind die nachfolgenden Erläuterungen gedacht. Der hinreichende Tatverdacht soll in seinem Zusammenhang zur Eröffnung des Hauptverfahrens erläutert werden. Es wird Bezug genommen auf einen konkreten Fall, in dem zwei Angeklagten in 6 Einzeltaten Betrug und Untreue vorgeworfen wird:

Ein Angeschuldigter ist der ihm zur Last gelegten Straftat hinreichend verdächtig im Sinne des § 203 StPO, wenn bei einer vorläufigen Tatbewertung auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln höher ist, als die eines Freispruchs. Bei ungefähr gleicher Wahrscheinlichkeit von Verurteilung und Freispruch ist ein hinreichender Tatverdacht anzunehmen, wenn es zur Klärung einer unsicheren Sachlage notwendig erscheint, sich der besonderen Erkenntnismittel und besseren Aufklärungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung zu bedienen, weil es etwa bei einander widersprechenden Angaben auf den persönlichen Eindruck des erkennenden Gerichts von den Beweispersonen ankommen kann. Bei dem gemäß § 203 StPO zu treffenden Wahrscheinlichkeitsurteil ist für die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ noch kein Raum. Denn zweifelhafte Tatfragen dürfen nicht nach Aktenlage im Wege vorläufiger Tatbewertung über die Eröffnung entscheidenden Gerichts endgültig entschieden werden. Demnach soll die Eröffnungsentscheidung lediglich erkennbar aussichtslose Fälle von der Hauptver-handlung ausnehmen, aber ihr ansonsten nicht vorgreifen. Das ist insoweit ständige Rechtsprechung des Kammergerichts Berlin.

 

Im Hinblick auf den im konkreten Fall von der Staatsanwaltschaft Berlin angenommenen Vorwurf von insgesamt 6-Veruntreuungs- und Betrugshandlungen liegt aus meiner Sicht – soweit es den Angeschuldigten A betrifft – ein derartiger erkennbar aussichtsloser Fall vor. Denn ein entsprechender Tatnachweis ist bereits jetzt ausgeschlossen.

Der hinreichende Tatverdacht ist der Ermittlungsakte nicht zu entnehmen

Aus den Ermittlungsakten ergibt sich entgegen der Anklageschrift schon nicht, dass A an den in der Anklage benannten vermeintlichen Straftaten mittelbar oder unmittelbar beteiligt gewesen sein könnte. Auch steht die Behauptung der Anklage, es hätte zwischen der Angeklagten B und dem Angeklagten A einen „auf Beuteteilung gerichteten Tatplan“ gegeben, wonach sie übereingekommen seien, PKWs ohne Bezahlung der fälligen Leasingraten vertragswidrig nicht selbst zu nutzen sondern an diverse Firmen unentgeltlich weiterzugeben, nicht im Einklang mit den geführten Ermittlungsergebnissen.

Die Tatsache, dass die beiden Angeklagten in leitender Funktion für eine GmbH bis bis zu einem bestimmten Zeitpunkt 2010  als Gesellschafter bzw. Geschäftsführer und anschließend ohne offizielle Funktion, aber mit vollständiger Handlungsbefugnis tätig gewesen sein sollen, ist völlig ungeeignet für den hier erhobenen Tatvorwurf. Das gilt jedenfalls in Fällen wie diesem, indem keine tatsächlichen Beweismittel hinzutreten, die einen Tatverdacht begründen könnten.

Die geführten Ermittlungen lassen gerade nicht erkennen, dass nur einer der anklagerelevanten Pkws jemals in den Besitz des Angeschuldigten A gekommen ist oder an ihn von wem auch immer übergeben wurde. Die Anklage benennt – jedenfalls teilweise – lediglich die Mitangeklagte B,  von der Pkws entgegengenommen worden sein sollen. Einen Bezug zu A, der in diesbezügliche vermeintliche Straftaten verwickelt sein könnte, haben die Ermittlungen nicht ergeben. Auch von daher ist völlig unklar, woraus sich ein Tatverdacht nur ansatzweise ableiten sollte.

So weit in der der Anklage behauptet wird, A habe einen Geschäftsleasingvertrag für ein PKW unterzeichnet, wird auch diese Anklagebehauptung nicht durch die geführten Ermittlungen gedeckt. Insbesondere ermangelt es an einem graphologischen Gutachten, das erst einen solchen Tatverdacht begründen könnte. Von wem die Verträge unterzeichnet worden sein könnten wurde nie ermittelt.

Kein hinreichender Tatverdacht –  keine Eröffnung des Hauptverfahrens

Der hinreichende Tatverdacht ist Voraussetzung der Eröffnung des Hauptverfahrens. Da hier davon ausgegangen wird, dass kein Tatverdacht vorliegt, wurde beantragt, die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zuzulassen. Ob sich schon die Anklage als Märchen entpuppt bleibt abzuwarten, denn die Entscheidung des Landgerichts Berlin steht noch aus.